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2023 Location Photography. FXBR Breakout

Richtungswechsel bei Harley-Davidson: Rückkehr ins Segment der kleineren Motorräder in Sicht

Harley-Davidson steht möglicherweise vor einem entscheidenden Wandel.  Angesichts einer alternden Kundschaft und einem sich wandelnden Motorradmarkt denkt der traditionsreiche US-Hersteller über eine Rückkehr ins Segment der leichten Motorräder nach.  Kolja Rebstock, Vice President für internationale Märkte bei Harley-Davidson, gab in einem Interview mit MCN erste Hinweise auf entsprechende Pläne.

Der schmerzhafte Abschied von der Sportster-Reihe

Lange Jahre bildeten die Modelle Forty-Eight und 883 Sportster die Einstiegsklasse bei Harley-Davidson – bezahlbar, kultig und mit dem luftgekühlten Evolution-V-Twin ausgestattet, der in 883 cm³ und 1.200 cm³ Versionen angeboten wurde.  Doch mit dem Auslaufen dieser Modelle verlor Harley nicht nur ein Stück Identität, sondern auch einen wichtigen Zugang zu jungen Kundengruppen.

Die Motoren entsprachen nicht mehr den modernen Emissionsvorgaben, insbesondere den Euro-Normen, was zur Einstellung der Reihe führte.  Zwar war die Sportster finanziell wenig lukrativ, wie Rebstock einräumt, doch der Verlust an Stückzahlen und Marktpräsenz war spürbar: „Wir haben Volumen verloren, als wir die Sportster-Reihe eingestellt haben, die sehr erfolgreich war.“

 

Einstieg über neue Wege: Die X440 als Türöffner?

Ein möglicher Neubeginn deutet sich mit der Harley-Davidson X440 an – einem Einzylinder-Roadster, der in Zusammenarbeit mit Hero MotoCorp entwickelt wurde.  In Indien ist das Modell bereits auf dem Markt, während es in Europa bislang nicht angeboten wird.  In den USA kommt es derzeit nur als Schulungsfahrzeug in Harley-Fahrschulen zum Einsatz – dort unter dem Namen X350RA.

Leicht, wartungsfreundlich und einsteigerfreundlich – die X440 bringt alle Eigenschaften mit, um eine neue Generation von Harley-Fahrern anzusprechen.  Sie wäre ein direkter Konkurrent zu Modellen wie der Honda GB350S, Triumph Speed 400 oder Royal Enfield Hunter 350 – Motorrädern, die aktuell in Europa und Großbritannien starke Absatzzahlen verzeichnen.  Die Speed 400 von Triumph etwa konnte bereits in den ersten Verkaufsmonaten große Erfolge feiern.

 

Neue Perspektiven durch die Produktionsstätte in Thailand

Ein weiterer Baustein für Harleys global ausgerichtete Leichtkraftrad-Strategie ist das Werk in Thailand.  Dort könnten künftig Modelle für den europäischen und asiatischen Markt gefertigt werden – fernab der klassischen US-Produktion.  Das Ziel: attraktivere Preise, kürzere Lieferketten und eine Anpassung an die jeweilige Marktsituation vor Ort.

Rebstock bestätigt: „Wir haben verstanden, dass wir eine Einstiegsmöglichkeit in die Marke brauchen.“  Obwohl keine konkreten Modelle angekündigt wurden, laufen laut Rebstock in der Entwicklungsabteilung bereits Arbeiten an entsprechenden Konzepten.

 

Herausforderung: Image und Identität

Der Schritt zu kleineren Maschinen ist für Harley-Davidson nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch des Markenimages.  Viele verbinden Harley noch immer ausschließlich mit großen V-Twins, ausladenden Tourern und jeder Menge Chrom.  Dass Harley mit Modellen wie der Pan America inzwischen auch das Adventure-Segment bedient, ist bei vielen potenziellen Kunden noch nicht angekommen.

„Wir werden immer noch als die Firma gesehen, die nur Softail-Modelle und große Touring-Bikes hat“, so Rebstock.  Dabei ist das Angebot vielfältiger denn je.  Dennoch steht Harley vor dem Balanceakt, neue Zielgruppen zu erschließen, ohne die langjährigen Fans zu verprellen: „Wir müssen unseren Hardcore-Kunden treu bleiben, aber gleichzeitig riskieren wir, uns zu isolieren, wenn wir keine neuen Fahrer gewinnen.“

 

Fazit: Kleine Hubräume – große Bedeutung

Die Aussagen von Kolja Rebstock deuten klar darauf hin, dass Harley-Davidson ernsthaft an einem Wiedereinstieg in das Segment der leichten Motorräder arbeitet.  Die Kombination aus wachsender Nachfrage, internationaler Konkurrenz und dem Wunsch nach Verjüngung der Kundschaft macht diese Entwicklung nahezu unausweichlich.

Ob es sich am Ende um eine überarbeitete X440 oder ein völlig neues Modell handeln wird, bleibt abzuwarten.  Klar ist: Harley-Davidson will künftig wieder mehr sein als nur die Marke für große Tourer und schwere Cruiser – und könnte damit eine neue Ära einläuten.