Vom Flugzeug zum Motorrad: Bewegung statt Kompromiss
In der Luftfahrt gehören bewegliche Flügelteile wie Querruder oder Landeklappen zum Standard, um den Auftrieb situativ zu regulieren. Auf dem Motorrad hingegen bleiben Winglets bisher meist statisch – was zwangsläufig zu einem Kompromiss führt: Mehr Anpressdruck bedeutet mehr Fahrstabilität, aber auch höheren Luftwiderstand. Kymco möchte diesen Zielkonflikt nun auflösen – mit einem System, das sich automatisch an die jeweilige Fahrsituation anpasst.
Patent zeigt dynamisches System
Ein kürzlich veröffentlichtes Patent deutet darauf hin, dass Kymco ein System entwickelt hat, bei dem elektrisch gesteuerte Winglets an den Flanken des Motorrads ihre Stellung verändern können – ähnlich den Tauchrudern eines U-Boots. Das Prinzip: Steigt das Vorderrad bei starker Beschleunigung, erkennen Sensoren diesen Pitch-Winkel und steuern über Schrittmotoren die Flügelstellung. Der Anstellwinkel wird vergrößert, wodurch zusätzlicher Anpressdruck auf das Vorderrad erzeugt wird. Stabilisiert sich die Lage wieder, flachen die Winglets ab und verringern so den Luftwiderstand.
Manuell oder automatisch – beide Optionen möglich
Das System soll laut Patentdokument entweder manuell vom Cockpit aus steuerbar oder komplett automatisiert funktionieren. Die Automatik nutzt dabei Daten einer Inertial Measurement Unit (IMU), die permanent die Fahrdynamik analysiert. Ein vorprogrammierter Algorithmus passt die Winglets an – je nach Bedarf. So sollen die Vorteile des aerodynamischen Abtriebs gezielt dann genutzt werden, wenn sie wirklich nötig sind.
Besser beschleunigen, weniger elektronische Eingriffe
Winglets auf Motorrädern verfolgen ein anderes Ziel als bei Rennwagen: Statt Kurvengrip geht es primär um die Kontrolle von Wheelies bei harter Beschleunigung. Bei ausreichender Traktion ist das Aufsteigen des Vorderrads oft der limitierende Faktor – mehr Leistung bedeutet dann nicht automatisch schnellere Zeiten. Konventionelle Systeme greifen hier mit Traktionskontrolle oder Eingriffen ins Motormanagement ein. Aktive Winglets könnten dieses Problem mechanisch lösen – mehr Vortrieb bei weniger elektronischer Regelung.
Integration ins SuperNEX-Konzept
Der Patentantrag wurde im Kontext des zweiten SuperNEX-Konzepts eingereicht – einem vollelektrischen Supersportler, den Kymco bereits 2022 vorstellte. Während die damalige Version noch feststehende Winglets hatte, zeigt die neue Patentzeichnung ein weiterentwickeltes Konzept mit verstellbaren Flügeln. Auch wenn die SuperNEX selbst wohl nicht in Serie gehen wird, zeigt sich hier der technologische Weg, den Kymco einschlägt.
RevoNEX als möglicher Serienkandidat
Nahezu serienreif hingegen ist der Kymco RevoNEX, der auf der EICMA 2023 präsentiert wurde. Das Elektromotorrad basiert auf dem S2 Arrow-Plattform – die auch bei LiveWire Del Mar, Mulholland und Alpinista zum Einsatz kommt – und entstand im Rahmen einer Kooperation mit LiveWire, der Elektromotormarke von Harley-Davidson. Ein Alleinstellungsmerkmal des RevoNEX: eine simulierte Kupplung und ein echtes Getriebe, die für mehr Fahrspaß und Kontrolle sorgen sollen – eine Seltenheit bei Elektrobikes.
Ob und wann die aktiven Winglets tatsächlich ihren Weg in die Serie finden, bleibt abzuwarten. Die technische Reife und das Interesse der Hersteller an adaptiver Aerodynamik deuten jedoch darauf hin, dass bewegliche Flügel bald Realität auf der Straße sein könnten – und das nicht nur bei Supersportlern der Premiumhersteller.












