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Harley-Davidson und das LiveWire-Dilemma: Mehr als nur Ladeprobleme

Als Harley-Davidson im Jahr 2019 mit der LiveWire das erste eigene Elektro-Motorrad präsentierte, war die Erwartung groß.  Nicht nur an das Produkt selbst, sondern auch an die symbolische Bedeutung: ein Traditionsunternehmen öffnet sich der Zukunft.  Doch die Realität sieht ernüchternd aus.  Schleppende Verkaufszahlen, hohe Preise und strategische Fehlentscheidungen machen LiveWire zu einer Marke mit Startschwierigkeiten.  Und obwohl der scheidende Harley-CEO Jochen Zeitz die Schuld vor allem auf die schwache Ladeinfrastruktur schiebt, zeigt ein genauerer Blick: Das ist nur ein Teil des Problems.
  1. Die Preisfrage: Zwischen Ideal und Kaufkraft

Der Einführungspreis der ersten LiveWire lag bei 29.799 US-Dollar – das entsprach damals rund 27.300 Euro.  Inflationsbereinigt wären das heute rund 37.050 US-Dollar bzw. etwa 34.200 Euro.  Ein stolzer Preis für ein Motorrad, das vor allem jüngere Käuferschichten ansprechen sollte.  Die wirtschaftliche Realität dieser Zielgruppe – geprägt durch Studienkredite, stagnierende Löhne und hohe Lebenshaltungskosten – steht jedoch im krassen Gegensatz zu solchen Preisschildern.

Zwar reagierte Harley-Davidson und senkte später den Preis für die überarbeitete LiveWire ONE auf rund 23.000 US-Dollar (ca. 21.300 Euro).  Doch auch dieser Betrag liegt noch deutlich über dem Einstiegspreis vieler Mitbewerber – inklusive der etablierten Elektro-Pioniermarke Zero Motorcycles.  Die neuen S2-Modelle von LiveWire (ab 16.000 US-Dollar, ca. 14.800 Euro) sollen diese Lücke schließen, bleiben aber ebenfalls im Premiumsegment – und somit für viele Interessenten schwer erreichbar.

 

  1. Vertrieb und Markenimage: Ein Balanceakt

Anfangs verkaufte Harley die LiveWire-Modelle über das eigene Händlernetz – ein Schritt, der wenig zum Erfolg beitrug.  Wer ein Harley-Davidson-Händler betritt, sucht in der Regel nach klassischen Cruisern wie der Road Glide oder Fat Boy, nicht nach einem futuristischen E-Bike.  Die Inkompatibilität zwischen Markenerwartung und Produktangebot war offensichtlich.

Erst drei Jahre nach Marktstart entschied sich Harley zur Auslagerung von LiveWire als eigenständige Marke, samt eigenem Vertriebsnetz und Showrooms – zunächst in Kalifornien, später auch in Europa.  Doch bis dahin war viel Vertrauen verspielt.  Die neue Marke musste sich nicht nur vom Mutterkonzern abgrenzen, sondern gleichzeitig mit dessen Erbe leben – inklusive aller Vorurteile.

 

  1. Strategie mit halbem Herz: Harleys Zögern bremst LiveWire aus

Harley-Davidson wollte mit LiveWire offenbar beides: vom E-Bike-Trend profitieren, ohne dabei das klassische Image zu beschädigen.  Doch dieser Spagat misslang.  Die Abspaltung von LiveWire kam spät und die Identität der Marke blieb lange diffus.

Hinzu kommt Harleys durchwachsene Historie bei nicht-traditionellen Projekten.  Beispiele wie Buell, MV Agusta und Alta Motors zeigen, dass der Konzern zwar gerne Innovationen fördert – aber selten langfristig daran festhält.  Kein Wunder also, dass potenzielle Kunden zögern: Wie sicher ist die Ersatzteilversorgung?  Wird es die Marke in fünf Jahren überhaupt noch geben?

 

  1. Ladeinfrastruktur: Ein echtes Problem, aber nicht das einzige

Jochen Zeitz sieht vor allem die unzureichende Ladeinfrastruktur als Bremsklotz für LiveWire – und liegt damit nicht völlig falsch.  Die ersten Modelle, wie die originale LiveWire und die LiveWire ONE, waren mit DC-Schnellladefähigkeit ausgestattet – ein Vorteil gegenüber Zero.  Doch die neuen S2-Modelle setzen nur auf Level-2-Laden, was zwar kostengünstiger ist, aber längere Ladezeiten mit sich bringt.

Gerade außerhalb urbaner Räume wird das zum Problem: Wer sportlich unterwegs ist, braucht unterwegs Nachschub – und möchte dafür nicht stundenlang pausieren.  Die Vielfalt an Ladestationen, inkompatible Bezahlsysteme und begrenzte Reichweite verstärken diese Problematik.

 

  1. Die Zahlen sprechen für sich: Ein schwacher Marktstart

Die Verkaufszahlen von LiveWire sind bisher enttäuschend.  Im ersten Quartal 2025 wurden gerade einmal 33 Motorräder verkauft – genauso wenig wie im schwächsten Quartal zuvor.  Der bisherige Spitzenwert lag im vierten Quartal 2023 mit 514 Einheiten, was maßgeblich dem Launch der S2 Del Mar zu verdanken war.  Doch der erhoffte Aufwärtstrend blieb aus.

Neue Konkurrenz macht es zusätzlich schwer: Marken wie Maeving aus Großbritannien bieten vergleichbare Leistungen für unter 10.000 US-Dollar (ca. 9.200 Euro).  Modelle wie das RM1S oder die Blackout Edition sprechen designaffine Kunden an und unterbieten LiveWire preislich deutlich.

 

Fazit: Viel Potenzial, aber strategisch verschenkt

Die Idee hinter LiveWire war richtig: ein innovatives E-Motorrad für die Zukunft.  Doch Umsetzung, Preisgestaltung, Marketing und Vertriebsstrategie haben das Projekt bisher ausgebremst.  Die Ladeinfrastruktur mag ein Teil des Problems sein – doch sie ist bei weitem nicht der einzige Grund für die aktuellen Schwierigkeiten.  Wer das E-Motorrad erfolgreich etablieren will, muss mehr liefern: erschwingliche Preise, klare Markenidentität, Verlässlichkeit und echtes Vertrauen.

Redakteur bei Motorrad Nachrichten. Fokus auf Technik, Szene und Motorradpolitik – neutral, sachlich, verständlich. Verantwortlich für die Seiten www.Motorcycles.News, www.Motorrad.Training und den YouTube-Kanal "Motorrad Nachrichten", sowie deren social Media-Seiten.