Es geht hier nicht darum, jemanden davon zu überzeugen, dass er ein Elektromotorrad fahren soll.  Jeder hat seine eigenen Vorlieben, und das ist völlig in Ordnung.  Ich selbst fahre auch Benziner.  Vor Kurzem wurde ich allerdings von Zero Motorcycles eingeladen, um einige ihrer Modelle zu testen.  Diese Erfahrung hat mich zum Nachdenken gebracht und ich möchte einige Gedanken zur Elektrifizierung von Motorrädern teilen.

(Nicht alle Punkte in diesem Artikel gelten uneingeschränkt für alle Elektromotorräder.  Wie auch bei Benzinern gibt es hier zwischen den Herstellern und den einzelnen Modellen große Unterschiede)

 

Ist das überhaupt noch ein Motorrad?

Eine Frage, die oft aufkommt, ist: Ist ein Elektromotorrad überhaupt noch ein richtiges Motorrad?  Die Antwort darauf ist ein klares Ja!  Elektromotorräder fahren sich wie Motorräder und bieten oft ein Fahrerlebnis, das besser ist, als man erwartet.  Der fehlende Motorensound und die zum Teil andersartige Leistungsentfaltung ändern nichts daran, dass man auf zwei Rädern unterwegs ist und das typische Fahrgefühl genießen kann.  Das Fahrgefühl kann sogar noch besser sein als mit Benzinern.

 

Gewicht und Handling

Ein häufiges Vorurteil gegen Elektromotorräder ist ihr hohes Gewicht, das durch die schweren Akkus bedingt ist.  In der Praxis merkt man dieses Gewicht jedoch kaum (zumindest bei Zero), da der Schwerpunkt extrem tief liegt.  Dies macht das Handling überraschend einfach und sorgt für eine gute Balance.

 

Drehmoment: Eine neue Erfahrung

Ein großer Vorteil von Elektromotorrädern ist ihr extremes Drehmoment, das zu einer beeindruckenden Beschleunigung führt.  Anfangs hatte ich Respekt vor der Bedienung, da ich befürchtete, ein kleiner Dreh am Gasgriff könnte das Motorrad unkontrollierbar machen.  Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Leistung ist extrem gut dosierbar und sehr gleichmäßig.  Es gibt keine Lastwechsel wie bei Benzinern, was das Fahrverhalten sehr angenehm und vorhersehbar macht.  Der Verzicht auf Schaltvorgänge und die sofort verfügbare Leistung sorgen für ein sehr direktes und lineares Beschleunigungserlebnis.

 

Drehmoment oder Leistung?

Die Frage, ob Drehmoment oder Leistung wichtiger ist, hängt stark von den persönlichen Vorlieben ab.  Drehmoment gibt einen kräftigen Schub in den Rücken und sorgt für schnelle Beschleunigung.  Leistung hingegen ist entscheidend für hohe Geschwindigkeiten, wie sie auf der Autobahn oder Rennstrecke benötigt werden.  

Auf kurvigen Landstraßen ist das hohe Drehmoment der Elektromotorräder ein großer Vorteil, da es sofort und in jeder Situation verfügbar ist und das Fahren extrem angenehm und sportlich machen kann.

 

Die Leistung ist anders

Bei Elektromotorrädern ist es wichtig, zwischen Spitzen- und Dauerleistung zu unterscheiden.  Die Spitzenleistung gibt die maximale Leistung an, die der Motor erreichen kann, während die Dauerleistung die Leistung ist, die der Motor über einen Zeitraum von 30 Minuten halten kann.  Die Zero SR/F hat beispielsweise 113 PS Spitzenleistung, aber nur 54 PS Dauerleistung.  Diese Unterscheidung ist wichtig für Versicherungen und Führerscheineinstufungen, da die niedrigere Dauerleistung oft günstigere Tarife ermöglicht.

Man kann die 54 PS Dauerleistung oder auch die 113 PS Spitzenleistung allerdings nicht mit der entsprechenden Leistung eines Benziners vergleichen, da ein Elektromotor viel mehr Drehmoment hat, das auch sofort in kompletter Höhe anliegt.

In der Praxis konnte die Zero SR/S mit ihren 54 PS Dauerleistung sehr gut mit einer CBR 1000 RR mit 178 PS im Beschleunigungsduell mithalten.

Ein extrem interessantes Beispiel für die Unterschiede zwischen Spitzen- und Dauerleistung ist das Modell Zero S.  Diese Elektromotorrad kann mit einem A1-Führerschein gefahren werden, da sie eine Leistung von 15 PS hat.  Sie hat jedoch eine Spitzenleistung von beeindruckenden 60 PS und ein maximales Drehmoment von 132 Nm.  

Diese hohe Spitzenleistung ermöglicht dem Motorrad trotz der Beschränkungen des A1-Führerscheins eine beachtliche Beschleunigung und Fahrdynamik, die weit über das hinausgeht, was man von einer typischen 125er erwarten würde.

 

Rekuperation und Fahrmodi

Elektromotorräder bieten die Möglichkeit, die Rekuperation einzustellen. Das bedeutet, dass beim Bremsen Energie zurückgewonnen und der Akku geladen wird.  Auf kurvigen Strecken ist das besonders genial, weil man kaum bremsen muss.  Man geht einfach vom Gas und das Motorrad bremst automatisch ab.  Diese Rückgewinnung kann in verschiedenen Stufen eingestellt werden, je nachdem, wie stark man die Bremswirkung durch die Rekuperation haben möchte.

Mir hat das sehr gut gefallen, wer es aber lieber rollen lassen möchte, kann die Rekuperation auch reduzieren oder komplett deaktivieren.

 

Kein Schalten und Kuppeln

Viele Motorradfahrer finden es ungewohnt, dass Elektromotorräder keine Kupplung und keine Gänge haben.  Anfangs fühlt es sich seltsam an, aber es macht das Fahren wesentlich bequemer.  Man ist immer im perfekten Gang für die beste Beschleunigung.  Viele Hersteller arbeiten bereits an automatischen Getrieben für Benziner oder bieten Schaltassistenten an, was zeigt, dass der Trend in diese Richtung geht.  Elektromotorräder sind hier schon einen Schritt weiter.

 

Lautloses Fahren

Ein weiteres Vorurteil ist, dass Elektromotorräder lautlos sind und keine Emotionen bieten.  Das stimmt so nicht ganz.  Der Elektromotor erzeugt ein surrendes Geräusch, und man hört die Abroll- und Windgeräusche.  Zwar mag ich den Sound eines Benzinmotors, aber das Fehlen lauter Motorgeräusche kann auch ein Vorteil sein, vor allem in Bezug auf Streckensperrungen wegen „Lärmbelästigung“.  Je nach Helm sind die Windgeräusche bei hohen Geschwindigkeiten sowieso lauter als der Motor, sodass der Sound des Motors oft ohnehin in den Hintergrund tritt.

Über fehlende Emotionen konnte ich mich nicht beklagen, im Gegenteil, ich hatte extrem viel Spaß an den Elektroflitzern.

 

Reichweite und Ladedauer

Ein häufiger Kritikpunkt an Elektromotorrädern ist die begrenzte Reichweite und die lange Ladedauer.  Für den Durchschnittsfahrer sind 150 km aufwärts aber meist ausreichend.  Die Ladezeit beträgt etwa eine Stunde (je nach Modell und Ausstattung), was akzeptabel ist.  Die Technik entwickelt sich weiter, und zukünftige Modelle werden eine höhere Reichweite und kürzere Ladezeiten bieten.  Es gibt bereits Pläne, dass ab 2028 größere Tankstellenketten Schnellladestationen anbieten müssen, was das Laden unterwegs noch komfortabler machen wird.

 

Kosten und Einsparungen

Elektromotorräder sind in der Anschaffung teurer, aber die Unterhaltskosten sind niedriger.  Strom ist günstiger als Benzin, und Elektromotorräder sind steuerbefreit.  Die Versicherungskosten sind ebenfalls geringer, weil die Dauer-Leistung ausschlaggebend ist, auch wenn das Motorrad viel „besser geht“.  Insgesamt sparen Elektromotorradfahrer über die Zeit Geld, besonders bei hohen Fahrleistungen.

 

Fazit: Koexistenz von Elektro und Benzin

Elektromotorräder müssen die Benziner nicht verdrängen.  Warum sollte es keine Koexistenz geben, bei der jeder Fahrer seine Vorlieben ausleben kann?  Die gesetzliche Vorschrift eines Verbrennerverbots halte ich für wenig sinnvoll, ist aktuell aber auch wieder vom Tisch und galt auch nie für Motorräder. 

Besser ist es, wenn sich die Technik durchsetzt, die für den jeweiligen Nutzer praktischer ist.  Die Zukunft wird zeigen, wie sich die Motorradwelt weiterentwickelt, und es bleibt spannend zu beobachten, welche Innovationen uns noch erwarten.

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